Future Talk 02: Freiwilliger Verzicht – wie weit sind wir bereit zu gehen?

«Weniger ist mehr – ist das die Formel unserer Zeit?» Unter diesem Titel erörtert die zweite Ausgabe der Eventreihe Polestar Future Talk Fragen rund um Verzicht, den freiwilligen, den notwendigen und den erzwungenen. Moderator Stephan Sigrist diskutiert mit der Unternehmerin und Politikerin Esther-Mirjam de Boer und Alan Frei, Minimalist und Co-Gründer des Erotikshops Amorana.

Future Talk with Esther Mirjam

Wir sind in einer neuen Normalität angekommen. In den letzten Jahren löste eine Krise die nächste ab. Inzwischen ist uns allen bewusst: Nicht nur fossile Brennstoffe werden rar, auch andere Rohstoffe. Billigflüge sind verpönt, Heizen ist nicht mehr selbstverständlich und der Strom kostet immer mehr. Mit diesen Worten eröffnet Moderator Stephan Sigrist den Talk und legt gleich den Finger auf einen wunden Punkt. Sigrist, Leiter des Think Tanks W.I.R.E., fragt das Publikum, wer sich angesichts einer drohenden Strommangellage freiwillig einschränke. Gut die Hälfte der Hände schnellt in die Höhe. Schon nach der zweiten Frage – wer plant, sich noch mehr einzuschränken? – muss Sigrist feststellen: «Der freiwillige Verzicht hat seinen Peak erreicht.»

Auch Unternehmerin und FDP-Politikerin Esther-Mirjam de Boer (54) ist der Meinung, dass wir als Gesellschaft noch nicht zum grossen Verzicht bereit sind. «Strom – und alles, was damit zusammenhängt», sagt de Boer, «ist zwar teurer geworden. Aber wir hatten noch keinen Stromausfall. Wir sind noch nicht am Punkt, an dem wir gar keine andere Möglichkeit mehr haben, als uns einzuschränken.» Wenn öffentliche Güter aber knapp werden, müsse der Staat lenkend eingreifen. «Ich bin in der FDP, wir haben Regulierungen nicht so gern. Aber der Markt allein richtet eben nicht immer alles.»

Alan Frei (40), der sich als Unternehmer, Minimalist und Vagabund bezeichnet, bekennt ohne Umschweife, dass er die Verantwortung abgibt: «Ich besitze zwar nur ungefähr 80 Dinge, wohne aber seit zweieinhalb Jahren im Hotel. Ich habe also gar keinen Einfluss auf den Wasser- und Stromverbrauch oder die Temperatur in den Zimmern.» Er verpflegt sich in Restaurants und hofft, dass dort lokale Produkte auf den Teller kommen. «Ich sehe mich nicht als Vorreiter einer Bewegung, ich bin aus sehr egoistischen Gründen Minimalist, ich merkte einfach: Je weniger ich besitze, desto glücklicher bin ich.»

Für Frei ist klar, dass Minimalismus nicht generell funktioniert: «Der Wunsch nach Wachstum ist ganz tief in uns drin. Wir wollen uns weiterentwickeln, und dass es uns immer besser geht.» Die Frage sei eher, ob dieses Wachstum zwingend immer über fossile Brennstoffe zustande kommen müsse. «Ich wage zu behaupten», sagt er, «dass in Zukunft Wachstum nur mit erneuerbaren Ressourcen möglich ist. Auch als Kapitalist kann man es sich schlicht nicht mehr leisten, Ressourcen zu verschleudern.»

Future Talk with Esther Mirjam

Esther-Mirjam de Boer hält Kreislaufwirtschaft für notwendig: «Wir müssen schauen, wo welches Material vorhanden ist, was wir wie nochmals verwerten können.» Die Baubranche, in der sie auch tätig sei, setze auf Urban Mining. Heisst: Abbruchmaterial wird recycelt. «Uns gehen die Primärrohstoffe aus. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als aus gebrauchtem Material neues zu schaffen», ergänzt sie. Bei Metall etwa entsteht kein Qualitätsverlust, wenn es eingeschmolzen wird. Aber es fehle auch an Rohstoffen wie Kies. «Wir werden noch erleben, dass man keinen Kies mehr abbauen kann», prophezeit de Boer und fragt: «Wie bauen wir dann Häuser, wie erstellen wir Fundamente?»

Dass die Formel «Weniger ist mehr» das Gebot der Stunde ist, darüber ist man sich am Future Talk 2 einig. Ebenso, dass Massnahmen nur über das Portemonnaie funktionieren. Doch werden wir erst konsequent handeln, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, wie es ein Gast aus dem Publikum formuliert? Alan Frei findet, viele unternähmen schon sehr viel, um Ressourcen zu schonen und laufend würden neue Technologien entwickelt die, so hofft er, einen grossen Teil der aktuellen Probleme lösen werden.

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